ArbeitsrechtKündigung von Schwerbehinderten unmöglich? Nicht ganz!

Oktober 21, 2021

Für Schwerbehinderte gilt ein besonderer Kündigungsschutz: Ohne Zustimmung des Integrationsamtes ist eine Kündigung von Schwerbehinderten i.d.R. unwirksam! Schwerbehinderte Arbeitnehmer sollen nach dem Willen des Gesetzgebers aufgrund ihres Handicaps einen besonderen Schutz genießen. Dies äußert sich insbesondere im Sonderkündigungsschutz, der in den §§ 168-175 SGB IX geregelt ist. Dennoch bedeutet das nicht, dass Schwerbehinderte unkündbar sind. Im Folgenden erläutere ich, wer geschützt ist, wie das Verfahren vor dem Integrationsamt abläuft und was im Falle einer ausgesprochenen Kündigung getan werden kann.

1. Geschützter Personenkreis:

Der Sonderkündigungsschutz gilt für alle Arbeitnehmer mit einer Schwerbehinderung – egal ob leitender Angestellter oder Azubi.

Schwerbehinderung ab einem GdB von 50

Als Schwerbehinderte gelten Menschen, wenn bei Ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Die Schwerbehinderteneigenschaft muss dabei entweder offenkundig sein oder zum Zeitpunkt der Kündigung amtlich festgestellt sein.

Ausnahmsweise kann auch ein bereits gestellter Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft ausreichen. Der entsprechende Antrag muss mindestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt sein. Sollte zu einem späteren Zeitpunkt positiv über den Antrag beschieden werden, wirkt die Feststellung auf den Zeitpunkt der Antragstellung, sodass auch rückwirkend ein Sonderkündigungsschutz gewährt wird. Voraussetzung ist auch hier, dass die Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vorgelegen hat.

Sofern der Arbeitgeber noch nicht Kenntnis von der Schwerbehinderung oder dem Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung erlangt hat, muss der betroffene Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Schwerbehinderteneigenschaft spätestens drei Wochen nach Zugang der Kündigung anzeigen oder über den gestellten Antrag unterrichten. Ansonsten wird ihm seine Schwerbehinderteneigenschaft nicht vor einer Kündigung schützen.

Gleichstellung ab einem GdB von 30

Neben dem Personenkreis der Schwerbehinderten können auch Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 30 unter den besonderen Kündigungsschutz entfallen, wenn sie den Schwerbehinderten gleichgestellt wurden. Eine Gleichstellung behinderter Menschen erfolgt auf Antrag bei der Bundesagentur für Arbeit. Sofern die betroffene Person aufgrund ihrer Behinderung keine geeignete Arbeit findet oder eine vorhandene Arbeitsstelle aufgrund der Behinderung gefährdet ist, wird die sogenannte Gleichstellung gewährt. Auch hier gilt, dass die Gleichstellung bereits vor Ausspruch der Kündigung gewährt sein muss oder zumindest drei Wochen vor Ausspruch der Kündigung beantragt sein muss, um den Sonderkündigungsschutz auszulösen.

Für den Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte muss das Arbeitsverhältnis mindestens sechs Monate bestanden haben. Bei Arbeitsverhältnissen, die länger als sechs Monate andauern, genießen Schwerbehinderte und diesen Gleichgestellten den Sonderkündigungsschutz unabhängig davon, ob es sich um einen sogenannten Kleinbetrieb handelt oder um einen Betrieb mit mehr als zehn Mitarbeitern.

2. Verfahren vor dem Integrationsamt 

Eines vorab: Der Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte bedeutet nicht, dass diesem Personenkreis per se nicht gekündigt werden kann.

Doch hat ein Arbeitgeber, der einem schwerbehinderten Arbeitnehmer kündigen möchte, nach den §§ 168 ff. SGB IX eine besondere Prozedur einzuhalten. Bevor er einen schwerbehinderten Arbeitnehmer kündigt, muss er die Zustimmung des Integrationsamtes einholen.

Eine ohne Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochene Kündigung ist per se unwirksam, selbst wenn die Kündigung dem Grunde nach rechtens gewesen wäre.

Der Arbeitgeber muss sich vor Ausspruch einer Kündigung gegen einen schwerbehinderten Arbeitnehmer also zwingend an das Integrationsamt wenden. Das Integrationsamt prüft in einem sogenannten Zustimmungsverfahren, aus welchen Gründen die vom Arbeitgeber beabsichtigte Kündigung erfolgt. Dabei liegt das Hauptaugenmerk der Prüfung auf der besonderen Schutzbedürftigkeit schwerbehinderter Arbeitnehmer. Die Kündigung darf nicht in einem Zusammenhang mit der Behinderung des betroffenen Arbeitnehmers stehen.

Sofern ein Betriebsrat/Personalrat oder eine Schwerbehindertenvertretung besteht, muss das Integrationsamt deren Stellungnahmen einholen.

Zudem muss das Integrationsamt den Betroffenen Arbeitnehmer anhören (§ 170 Abs. 2 SGB IX).

Bei seiner Entscheidungsfindung hat das Integrationsamt alle für den einzelfallrelevanten Umstände zu berücksichtigen. Es muss also die von dem Arbeitgeber angeführten Kündigungsgründe, die Angaben des Arbeitnehmers und die Stellungnahmen der weiteren Beteiligten in eine Waagschale werfen.

 

3. Das Integrationsamt ist kein vorgeschaltetes Arbeitsgericht

 

Das Integrationsamt fungiert hier aber nicht als ein vorgeschaltetes Arbeitsgericht.

Es ist lediglich zu prüfen, ob die Kündigung in einem Zusammenhang mit der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers steht. Sofern dies nicht der Fall ist, wird die Zustimmung zur Kündigung erteilt.

Wird die Kündigung beispielsweise aus verhaltensbedingten Gründen des Arbeitnehmers oder aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochen, darf das Integrationsamt nicht vorab prüfen, ob die vom Arbeitgeber angeführten Gründe eine Kündigung rechtfertigen können. Dies bleibt den Arbeitsrichtern vorbehalten.

4. Ausnahmen vom Zustimmungserfordernis

Kündigt der schwerbehinderte Arbeitnehmer selbst oder einigte er sich mit dem Arbeitgeber auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, bedarf es hierfür keiner vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes.

Die Zustimmung des Integrationsamtes ist auch nicht erforderlich, wenn das Arbeitsverhältnis befristet ist und nach Fristablauf beendet wird.

Eine weitere Ausnahme sieht das Gesetz für die Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern vor, die das 58. Lebensjahr vollendet haben und einen Anspruch auf eine Abfindung oder ähnliche Leistung haben.

Schließlich ist das im Ermessen des Integrationsamtes bei einer Betriebsschließung oder umfassenden Einschränkung reduziert.

5. Kündigung trotz der Schwerbehinderung erhalten – wie reagieren?

Haben Sie eine Schwerbehinderung oder sind Sie schwerbehinderten Menschen gleichgestellt und wurde Ihnen ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamtes gekündigt, dürfen Sie erstmal entspannt bleiben. Die Kündigung ist per se unwirksam und eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht ist sehr erfolgversprechend.

Hat der Arbeitgeber hingegen vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes eingeholt, können Sie gegen die Entscheidung des Integrationsamtes Widerspruch einlegen. Wird auch diesem nicht abgeholfen, kann des Weiteren vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen die Entscheidung des Integrationsamtes erhoben werden.

Parallel hierzu bleibt Ihnen die Möglichkeit, gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht zu erheben, um die Unwirksamkeit der Kündigung auch aus anderen Gründen feststellen zu lassen.

6. Fazit: 

Als schwerbehinderter Arbeitnehmer oder diesen Gleichgestellten genießt man zwar keinen absoluten Kündigungsschutz und eine Kündigung ist weiterhin möglich,  aber zumindest sind die Hürden hierfür doch deutlich höher.

Der Arbeitgeber muss das Integrationsamt vor Ausspruch der Kündigung von Schwerbehinderten um Zustimmung bitten. Je nach Integrationsamt kann diese Prozedur schon mal einige Monate dauern, sodass eine Kündigung entsprechend später ausgesprochen werden kann. Schon im Anhörungsverfahren besteht die Möglichkeit, den Arbeitgeber wieder von der Kündigung abzubringen. In der Regel versucht das Integrationsamt auch darauf hinzuwirken.

Sollte all dies nicht helfen, bleibt neben diesem Sonderkündigungsschutz ja auch immer noch der allgemeine Kündigungsschutz, sodass die ausgesprochene Kündigung durch eine Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht zur Prüfung gestellt werden kann.

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